Vom Stolperstein zur Ausstellung
Friedrich-Franz-Gymnasium setzt sich gegen Antisemitismus ein
Hassreden, Verschwörungstheorien, Gewalttaten – im Jahr 2021 wurden in Deutschland über 3000 Straftaten im Zusammenhang mit Antisemitismus begangen. Über das Jahr betrachtet richteten sich auf deutschem Boden ungefähr 8 Delikte pro Tag gegen Juden und Jüdinnen. Eine Zahl, die in einer vermeintlich liberalen und pluralistischen Gesellschaft wie der Bundesrepublik aufhörchen lässt und befremdlich wirkt. Im Frühsommer des gleichen Jahres entstand in einem ersten Gespräch zwischen der Gymnasiallehrerin Diana Schlüter-Beck und Museumsleiter Benjamin Kryl der Gedanke, dass jahrelang gepflegte Projekt „Ein Stein – ein Name – ein Mensch“ der Religionspädagogin auf eine neue, größere Ebene zu heben. Der damalige Religionskurs der Klasse 10c hatte bereits drei Jahre zuvor Erfahrungen im Umgang und mit der Aufarbeitung von Schicksalen jüdischer Familien in Parchim gesammelt. Nun zeigten sich die Gymnasiasten begeistert, ihr Wissen zu vertiefen und in enger Kooperation mit dem Stadtmuseum der Kreisstadt zusammenarbeiten zu können. Die Recherchen gingen weit über den üblichen Unterricht hinaus. Neben klassischen Büchern und Online-Artikeln wurden auch Informationen vor Ort eingeholt und das Gespräch mit Fachkundigen gesucht. So fuhr eine Schülerin extra nach Sternberg, um sich von der örtlichen Gemeindepädagogin über die Ereignisse des Sternberger Hostienschänderprozesses von 1492 zu informieren. Nach der Informationsgewinnung stand echte Redaktionsarbeit für die Schülerinnen und Schüler an. Texte wurden geschrieben, verändert, verworfen, zusammengefasst oder gekürzt. Ein Prozess, der den Lernenden nicht nur Geduld, sondern auch Beharrlichkeit und Ausdauer abverlangte, was für das spätere Berufsleben nur förderlich sein kann. Neben Texten, Grafiken und Bildern sind auch Videos integraler Bestandteil einer modernen Ausstellung. Die notwendige Expertise hierfür steuerten Henry Gawlick, der Direktor des Museums in Hagenow, sowie der seit 2015 amtierende Landesrabbiner Yuriy Kadnykov bei. In der alten Synagoge Hagenow standen sie den Gymnasiasten Rede und Antwort und bereicherten so maßgeblich die Ausstellungsinhalte. In einem zweiten kreativen, handgemachten Film erklären die Jugendlichen die Entstehung des Antisemitismus und wie man ihm begegnen sollte. Auf diese Weise erhielten die Schützlinge von Diana Schlüter-Beck einen exklusiven Einblick in die Museums- und Ausstellungsarbeit unter wohlwollender Begleitung von Benjamin Kryl und der Museumspädagogin Katharina Westerhoff. Nach nicht ganz einem Jahr entstand eine multimediale Ausstellung, welche den Antisemitismus sowie die Gewalt gegen Jüdinnen und Juden als eine Konstante der europäischen, insbesondere der deutschen Geschichte sichtbar macht. Zugleich ist sie auch ein Appell an die im Grundgesetz verbrieften Normen und Werte der Menschlichkeit. In der Eröffnungsrede der Ausstellung am Vortag des internationalen Tages zum Gedenken an die Opfer des Holocaust hob die Projektinitiatorin Diana Schlüter-Beck den kreativen, mitreißenden Schöpfungsprozess der Gymnasiasten hervor. Ziel des Bildungsprojektes sei es, für den Umgang mit dem schweren Erbe der deutschen Vergangenheit nachhaltig zu sensibilisieren und zugleich eine Handlungsanleitung gegen Antisemitismus für die Zukunft zu geben. Nachdem die Ausstellung mit dem Titel „Eine Weltanschauung – Jüdisches Leben in Mecklenburg“ in der zukünftigen Parchimer Kulturmühle der Allgemeinheit zugänglich gemacht wurde, können interessierte Schulen und Museen die Ausstellung auf Anfrage gerne ausleihen.
Ein herzlicher Dank geht an die Förderer der Ausstellung:
- Museum der Stadt Parchim
- Friedrich-Franz-Gymnasium Parchim
- Stadt Parchim
- Sophie Medienwerkstatt e.V.
- Europäische Fonds EFRE, ESF und ELER in Mecklenburg-Vorpommern 2014 – 2020
- Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums
- Mecklenburg-Vorpommern Ministerium für Klimaschutz, Landwirtschaft, ländliche Räume und Umwelt
- LEADER
Autor: Max Zawadzki
Bilder: Johanna Haak